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Bundesverfassungsgericht zur Fortdauer neunmonatiger Untersuchungshaft

Das Grundrecht auf Freiheit der Person kann nur unter strengen Voraussetzungen eingeschränkt werden. Ist eine monatelange Untersuchungshaft vor diesem Hintergrund dadurch zu rechtfertigen, dass sich das Verfahren verzögert, weil ein Sachverständiger nicht auf die Anfragen des Gerichts antwortet? Nicht unbedingt, entschied nun das Bundesverfassungsgericht. Es hob den Beschluss der Haftfortdauer gegen eine Frau auf, die aufgrund eines versuchten Raubes  über neun Monate Untersuchungshaft verbüßte.

Der Fall (BVerfG, 2 BvR 1853/20): Der Angeklagten wird vorgeworfen, im Sommer 2019 als Fluchtwagenfahrerin Beihilfe unter anderem zu einem versuchten schweren Raub geleistet zu haben. Sie soll die Mitangeklagten mit dem Auto aus Litauen nach Deutschland gefahren haben, wo diese versucht haben sollen, mit einem anderen Wagen das Schaufenster eines Juweliergeschäftes zu durchbrechen. Die Scheibe hielt jedoch stand, weshalb die mutmaßliche Bande zurück zum Pkw der wartenden Angeklagten geflüchtet sein soll, die diese daraufhin zurück nach Litauen gefahren haben soll.

Im Dezember 2019 war die Angeklagte daraufhin festgenommen worden und wartete nun in Untersuchungshaft auf die Eröffnung der Hauptverhandlung. Doch diese verzögerte sich: Einer der Mitangeklagten gibt an, alkoholabhängig zu sein, weshalb infrage steht, ob er die Tat im voll schuldfähigen Zustand begangen hat oder ob u.a. eine Strafmilderung nach § 21 StGB oder eine Unterbringung nach § 64 StGB in Betracht kommt. Das Landgericht gab deshalb ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag. Der damit betraute Sachverständige ließ sich jedoch Zeit und mehrere Nachfragen des Gerichtes unbeantwortet. Erst fast vier Monate später meldete er sich und kündigte an, das Gutachten in zwei Wochen einreichen zu wollen.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ordnete nach Verbüßung von neuen Monaten Untersuchungshaft gemäß §§ 121, 122 StPO aufgrund der Fluchtgefahr die Haftfortdauer an. Dagegen wehrte sich die Angeklagte und erhob legten durch ihren Strafverteidiger Verfassungsbeschwerde gegen diesen Beschluss ein.

Die Anordnung von Untersuchungshaft stellt stets einen intensiven Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 in Verbindung mit Art. 140 Grundgesetz dar. Denn die Freiheit der Person ist grundsätzlich unverletzlich — wird sie eingeschränkt, muss es dafür einen besonderen Grund geben. Zu diesen Gründen gehört vor allem die rechtskräftige Verurteilung im Strafverfahren. Im Fall der Untersuchungshaft nach § 112 StPO dagegen fehlt es an einer solchen Verurteilung. Die Inhaftierung ist in diesen Fällen daher nur ausnahmsweise möglich, wenn sie zwingend nötig ist, um die Durchführung des Strafverfahrens zur ermöglichen. Auch aufgrund der gesetzlichen Unschuldsvermutung sind daher besonders strenge Voraussetzungen an die Anordnung von Untersuchungshaft zu stellen. Diese darf nicht außer Verhältnis zur vorgeworfenen Tat stehen, vor allem aber — selbst im Fall schwerer Tatvorwürfe — nicht grenzenlos lange andauern. Vielmehr kommt dem strafverfahrensrechtlichen Beschleunigungsgebot in Haftsachen besondere Bedeutung zu. Das Gericht muss daher möglichst schnell über die Tatvorwürfe entscheiden und im Regelfall spätestens drei Monate nach der Anklageerhebung die Hauptverhandlung eröffnen.

Vor diesem Hintergrund war das Bundesverfassungsgericht mit der Haftentscheidung des Oberlandesgerichts nicht einverstanden. Gleich aus mehreren Gründen genüge der OLG-Beschluss den Anforderungen, die das Grundgesetz an Freiheitsentziehungen stellt, nicht:

Das Oberlandesgericht habe nicht überzeugend dargestellt, dass das Landgericht alles getan habe, um das Verfahren zu beschleunigen. Das Gericht hatte lediglich zwei Anfragen an den Sachverständigen gestellt, die dieser ignorierte. Dabei hätte es nicht nur den Experten wechseln können, sondern nach das Strafprozessordnung auch die Möglichkeit gehabt, ein Ordnungsgeld gegen den Psychiater zu verhängen.

Darüber hinaus sei es auch gar nicht notwendig gewesen, mit der Eröffnung der Hauptverhandlung abzuwarten. Eine vollständige Schuldunfähigkeit des anderen Angeklagten stand nie im Raum. Unabhängig vom Ergebnis des Gutachtens würde es in jedem Fall zu einer Hauptverhandlung kommen, in welchem der Gutachter sein Gutachten mündlich erstattet. 

Schließlich habe das Oberlandesgericht nicht überzeugend begründet, warum nicht wenigstens das Verfahren gegen die mutmaßliche Fluchtwagenfahrerin hätte eröffnet werden können. Es sei nicht ersichtlich, warum dieses nicht von dem Verfahren gegen den möglicherweise alkoholabhängigen Angeklagten abgetrennt werden könnte.

Aus diesen Gründen sah das Bundesverfassungsgericht die inhaftierte Frau in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Person verletzt. Es hob den Beschluss des Oberlandesgerichts auf, dieses muss jetzt erneut über die Frage der Fortdauer der Haft entscheiden.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts belegt ein mal mehr, dass eine effektive Strafverteidigung die Ausschöpfung sämtlicher Rechtsmittel nicht scheuen darf. Gerade die Anordnung von Untersuchungshaft muss als grundrechtsverkürzende Maßnahme stets verhältnismäßig sein, sodass sich die Vorlage an das Verfassungsgericht lohnen kann.

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